Malin und Susanne

Das Schönste, was ich mir wünschen kann

Interview mit Susanne Mattle Rohrer, betroffene Mutter

Susanne Mattle Rohrers Tochter Malin ist im Alter von 13 Jahren an akuter lymphatischer Leukämie (ALL) erkrankt. Seit April 2024 gilt die junge Frau als geheilt, doch die Therapie ist nicht folgenlos geblieben. Malin lässt sich davon nicht aufhalten und hat sich einen grossen Traum verwirklicht. 

Wie es ihr mit den Plänen ihrer Tochter ging und wie es ihr gelingt, Malin loszulassen, erzählt Susanne Mattle Rohrer im Interview. 


Malin ist im Frühjahr 2024 auf ihre erste grosse Reise aufgebrochen – mit Interrail durch Europa und dann weiter nach Sri Lanka. Ein Abenteuer, das viele junge Menschen erleben, aber mit Malins Geschichte nicht selbstverständlich ist. Wie hast du reagiert, als du von ihren Plänen erfahren hast?

Ich habe mich unglaublich gefreut! Es war schön zu sehen, dass Malin nach ihrer intensiven Krankheit mit vielen Komplikationen und Folgen neue Perspektiven hat, Lebensfreude und den Wunsch, die Welt zu entdecken. Ich selbst bin als junge Frau viel gereist und weiss, wie bereichernd reisen ist. Aber natürlich waren da auch Sorgen – was ist, wenn gesundheitlich etwas passiert? Wenn die Medikamente gestohlen werden? In Europa wäre das noch einfach zu lösen gewesen, aber Sri Lanka hat mir schon Sorgen bereitet. Während Malins Erkrankung haben wir gelernt, zuversichtlich zu bleiben und den Fokus auf die positiven Aspekte zu richten. Diese Denkweise hat mir auch bei Malins Reiseplänen geholfen. Malin hat so viel verpasst in ihrer Jugend, da wollten wir ihr dieses Erlebnis von Herzen gönnen.

Susanne Mattle Rohrer

«Es war schön zu sehen, dass Malin nach ihrer intensiven Krankheit mit vielen Komplikationen und Folgen neue Perspektiven hat, Lebensfreude und den Wunsch, die Welt zu entdecken.»

Susanne Mattle Rohrer, Mutter von Survivor Malin

Im Jahr 2023 hat Malin aufgrund ihrer Nekrose in beiden Knien eine Prothese erhalten, um wieder richtig gehen zu können. Dann haben sich wenige Monate vor der Europareise Knochenteile in Malins Arm gelöst. Wie ist es dir damit gegangen?

Ihr Arm hat mir tatsächlich Sorgen gemacht. Einerseits ist es schmerzhaft, andererseits können die abgebrochenen Knochenteile das Gelenk komplett blockieren. Bei ihrem rechten Bein war genau das passiert und Malin musste notfallmässig operiert werden. Wenn sowas in Sri Lanka mit ihrem Arm geschehen würde, wäre das ziemlich schwierig. Aber Malin hat mehrfach bewiesen, dass sie unglaublich entschlossen und auch gelassen ist. Wenn sie etwas will, überwindet sie sämtliche Hindernisse und schafft es irgendwie.

Gab es besondere Vorbereitungen oder eine Absicherung in Bezug auf die Reise?

Wir haben eine Versicherung für eine notfallmässige Rückführung abgeschlossen, aber abgesehen davon hat sich Malin nicht besonders abgesichert und ähnlich vorbereitet, wie ihre beiden gesunden Kolleginnen. Die Sorgen haben vor allem wir Eltern uns gemacht, aber wir haben uns bewusst zurückgehalten. Wir waren allerdings froh, dass Malin zuerst innerhalb Europas zu ihrem Interrail-Abenteuer aufgebrochen ist und erst anschliessend, nach den ersten Reiseerfahrungen, nach Sri Lanka reiste. Wenn sie nun ihre Medikamente verloren hätte, beispielsweise jenes gegen den Bluthochdruck, wäre das zwar gar nicht gut, aber auch nicht unmittelbar lebensbedrohlich gewesen. Beim Verlust der Medikamente sowie einer kompletten Blockade des Ellenbogens hätte sie wohl nach Hause kommen müssen. Zum Glück verlief alles gut!   

Susanne Mattle Rohrer mit Tochter Malin

«Nach der langen Therapie darf man auch sich selbst und den eigenen Bedürfnissen wieder langsam Platz geben. Heute hat Malin den Lead in ihrem Leben übernommen, und das ist das Schönste, was ich mir wünschen kann.»

Susanne Mattle Rohrer, Mutter von Survivor Malin

Loslassen fällt vielen Eltern schwer, besonders wenn sie ihr Kind jahrelang intensiv begleiten mussten. Wie war es für dich, als der Moment kam und Malin in den Flieger nach Sri Lanka gestiegen ist?

Es war tatsächlich ein eigenartiges Gefühl, aber die Freude überwog. Ich wollte sie unbedingt gehen lassen und Malin hat das Recht, etwas zu erleben. Was mich sehr freute, war ihre Reise-App, über die sie nicht täglich, aber doch immer mal wieder, Fotos, Blogs und ihre Route mit uns teilte. So durften wir fast ein bisschen mitreisen und sehen, wie gut es ihr ging und wie sehr sie ihre Reise genoss. Es war wunderbar zu erleben, wie sie selbstbestimmt reisen konnte, nachdem sie jahrelang so abhängig war und auch viel von ihrem jungen Leben verpasst hatte.

Behütest du Malin mehr als ihre Geschwister?

Durch die vielen gemeinsamen Monate im Spital, zuhause oder auf unseren Fahrten zu Terminen, hat sich zwischen uns eine ganz besondere Nähe entwickelt. Während dieser intensiven Zeit wussten wir genau, was der andere denkt oder sagen will. Trotzdem war es uns als Eltern immer wichtig, allen Kindern dasselbe Vertrauen zu schenken und sie in die Selbstständigkeit zu begleiten. Durch Malins Krankengeschichte haben wir sie zwar nicht unbedingt mehr behütet und liessen sie auch gehen, aber wir haben uns schon schneller Sorgen gemacht. Zum Beispiel baten wir sie, wenn sie trotz ihrer stark lädierten Knie mit dem Fahrrad zu Freunden fahren wollte, nach Ankunft eine kurze Nachricht zu schreiben. Ein Daumen hoch reichte schon. So wussten wir, dass sie heil angekommen war. Grundsätzlich haben wir ihr und ihren Geschwistern immer vertraut, dass sie ihre Grenzen kennen und im Rahmen dieser handeln. So auch bei Malins Reiseplänen.

Was rätst du anderen Eltern, denen dieses Loslassen schwerfällt?

Es gibt kein Patentrezept. Ich glaube, man darf Kindern jeden Alters etwas zutrauen und sie Schritt für Schritt wieder Verantwortung übernehmen lassen. Dadurch bekommen sie ihre Selbständigkeit zurück. Wir haben zum Beispiel Malin recht früh ihre vielen Medikamente selbst richten lassen. Wir haben sie an diese Aufgabe herangeführt und ihr mehr und mehr die Verantwortung übergeben. Wichtig scheint mir, dem Kind zu signalisieren: «Wenn du dich unsicher fühlst oder wenn du keine Energie dafür hast, sind wir für dich da und helfen dir gerne.» 

Gleichzeitig müssen die Eltern lernen, ihren Fokus wieder auf andere Dinge zu lenken. Lange Zeit dreht sich alles um das kranke Kind – und um die gesunden Kinder. Nach der langen Therapie darf man auch sich selbst und den eigenen Bedürfnissen wieder langsam Platz geben. Ich habe zum Beispiel nach der intensiven Zeit eine Weiterbildung begonnen und damit ganz bewusst andere Dinge wieder in meinen Alltag gelassen. Es hat uns beiden geholfen, uns wieder voneinander abzunabeln und so zu einem normalen Familienalltag zu finden. Nach so einer Krankengeschichte braucht das Zeit. Aber heute hat Malin den Lead in ihrem Leben übernommen, und das ist das Schönste, was ich mir wünschen kann.