Frank* war erst zwölf Jahre alt, als sein Leben eine Wendung nahm. Mitte der 1980er-Jahre wurde bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert. Ein Schicksalsschlag, der Frank ins ferne Kanada führte.
Ein Medulloblastom ist zwar einer der häufigsten Hirntumoren bei Kindern und Jugendlichen, bleibt jedoch insgesamt eine seltene Erkrankung. Die Behandlung solcher Tumoren war in den 80er-Jahren mit grossen Herausforderungen und Risiken verbunden. Die Therapie mit Operation, Chemotherapie und Bestrahlung hinterliess bei Frank nicht nur körperliche Spuren, sondern auch seelische.
Ein anderes Ich
Die Rückkehr in die Schule nach seiner Behandlung war schwierig. Frank, der aus einem kleinen deutschen Dorf stammt, fühlte sich nach der Krebstherapie nicht mehr als Teil der Gemeinschaft. Sein durch den Haarverlust verändertes Aussehen liessen ihn aus der Norm fallen. Im Deutschland der 80er-Jahre wurde eine Glatze oft mit rechtsextremen Gruppierungen assoziiert, ein Umstand, der Frank stark belastete. Ausserdem fühlte er sich auch mental «anders» als seine Altersgenoss:innen. «Meine Erkrankung hat mich emotional reifen lassen. Ich war im Kopf bereits erwachsen, während meine Freunde über ihre Lieblingsbands diskutierten oder davon träumten, Popstars zu werden.»
Trotz erfolgreichen Abiturabschlusses in Deutschland und einiger enger Freundschaften blieb das Gefühl der Isolation für ihn bestehen. Er wollte vergessen, wollte weitermachen – und brach deshalb schliesslich die Nachsorge ab. «Ich dachte, wenn ich einfach aufhöre, mich mit dem Thema Krebs zu beschäftigen, dann kann ich die Krankheit hinter mir lassen.»
Der Aufbruch nach Kanada
Anfangs 20 traf Frank die Entscheidung, dass er Abstand brauchte – von seinem Heimatdorf, von den Erinnerungen an die Krankheit und vom Gefühl, nicht dazuzugehören. Er reiste nach Kanada, ein Land, das für ihn grenzenlose Möglichkeiten und vor allem Anonymität bedeutete. Die Freundlichkeit und Offenheit der Menschen halfen ihm, sein Leben neu zu ordnen und der Neuanfang gab ihm das Gefühl, die Kontrolle zurückzugewinnen. Deshalb entschied er sich, vorerst in Kanada zu bleiben.

«In Kanada war ich einfach Frank. Niemand wusste von meiner Vergangenheit, niemand schaute mich komisch an.»
Die Rückkehr nach Europa
Nach einigen Jahren in Kanada kehrte Frank schliesslich doch nach Europa zurück, wo er doktorierte, und seine Karriere startete. Heute arbeitet er an einem Forschungsinstitut und ist u.a. an einem internationalen Forschungsprojekt tätig – ein Job, der Engagement und Selbstbewusstsein erfordert. Nach aussen wirkt Frank ruhig und souverän. «In meinem Innern sieht es manchmal anders aus, da bin ich oft unsicherer, als ich wirke. Ich habe gelernt, damit umzugehen.».
Eine bereichernde Erkenntnis
Mit den Jahren traten bei Frank, der heute Anfang 50 ist, gesundheitliche Probleme auf – vage Beschwerden, die sich nicht leicht einordnen liessen. Frank liess sich ärztlich untersuchen und musste sich wieder mit seiner Krankheitsgeschichte auseinanderzusetzen. Durch die Nachsorgesprechstunden wurde er 2024 auf einen Netzwerkanlass für Survivors aufmerksam und nahm daran teil. Es war das erste Mal, dass er mit Menschen sprach, die Ähnliches durchgemacht hatten wie er. «Es war wie ein Augenöffner. Zu sehen, dass ich nicht allein bin – dass es andere gibt, die genau verstehen, was ich durchgemacht habe – das hat mich tief berührt.».
Dieser Austausch half ihm, seine Vergangenheit nicht länger zu verdrängen, sondern als Teil von sich selbst zu akzeptieren. «Die Krankheit hat mich geprägt, sie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.».
Die Zukunft gestalten
Seine Auszeit in Kanada bereut Frank nicht. Im Gegenteil. «In dem Moment war es für mich das Richtige, zu gehen.» Die Entscheidung, der Heimat den Rücken zu kehren, entstand aus dem Gefühl der sozialen Isolation und der Hoffnung, vergessen zu können. Ein Schritt aus der Not heraus, der sich als grosse Chance erwiesen hat. «Meine positive Erfahrung hat mich darin bestärkt, dass ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann.». Das Einzige, was Frank rückblickend anders machen würde – früher nach Unterstützung zu suchen.
«Der Austausch mit anderen Betroffenen hätte mir vielleicht einiges erleichtern können. Doch es ist nie zu spät ist, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.»
Frank* heisst in Wirklichkeit anders.