Vor mehr als acht Jahren erhielt die Tochter von Béatrice die Diagnose Leukämie. Nach den ersten Momenten geprägt von grosser Angst und Ungläubigkeit, fand Béatrice Wege, um mit der Belastung umzugehen, den Alltag zu strukturieren und ihre Tochter, die Familie wie auch sich selbst durch diese anspruchsvolle Therapiezeit zu tragen.
Im Podcast mit Kinderkrebs Schweiz spricht Béatrice über ihre Erfahrungen und beschreibt ihre Hilfsmittel, um damit anderen Familien ihren Therapiealltag etwas zu erleichtern.
Béatrice erzählt, wie sie während der Krebserkrankung ihrer Tochter mit einfachen Hilfsmitteln und Ritualen Struktur und Kraft fand. Vom Medikamentenkoffer bis zum Spitalgepäck – praktische Tipps, die im Ausnahmezustand den Alltag erleichtern können.
Der Moment des Erwachens: Vom Schock zur Handlungsfähigkeit
In den ersten Tagen nach der Diagnose fühlte sich Béatrice wie in Trance. «Man funktioniert wie ein Roboter.» Doch ein Schlüsselmoment brachte eine Wende. «Eine andere betroffene Mutter sagte zu mir: Du hast am fünften Tag ein frisches T-Shirt an, die Haare gekämmt und weisst, welcher Wochentag heute ist. Du wirst es schaffen.» Dieser Satz gab Béatrice Kraft – und die Fähigkeit, sich der neuen Realität zu stellen.

«Es ist wichtig zu wissen, dass diese dunklen Zeiten vorbeigehen. Man vergisst sie nicht, aber irgendwann kommt man wieder an die Oberfläche.»
Offene Kommunikation als Stütze
Béatrice erkannte früh, wie wichtig ein transparentes Umfeld ist. «Wir haben offen kommuniziert und nur positive Erfahrungen gemacht.» Auch die Schule der Tochter wurde transparent und von Anfang an informiert. Das Spital verfasste einen Elternbrief für die Schulklasse, in dem informiert wurde, was die Erkrankung für den Schulalltag bedeutet oder wie sich das Aussehen verändern wird. Zudem beinhaltete der Brief die Bitte, Schüler:innen, die ab dem ersten Lebensjahr noch keine Windpocken/Varizellen/Spitze Blattern durchgemacht hatten und nicht dagegen geimpft waren, sofort impfen zu lassen. Diese Krankheiten können für immungeschwächte Patient:innen lebensbedrohlich sein.
Mit Struktur durch den Ausnahmezustand
Während der zweijährigen Therapiezeit halfen Béatrice und ihrer Familie klare Strukturen. Als Béatrice zum ersten Mal mit ihrer Tochter aus dem Spital heimkehrte, füllten die benötigten Medikamente zwei grosse Einkaufstüten. Schnell war klar: hier braucht es ein System. Drei einfache Werkzeugkoffer aus dem Baumarkt wurden zum Herzstück der täglichen Medikamentenorganisation – beschriftet, unterteilt, logisch, jederzeit bereit. «Wenn ich ausgefallen wäre, hätte mein Mann sofort gewusst, was zu tun ist.»
Daneben stand ein stets gepackter Reisekoffer bereit. «Man weiss nie, wann ein Notfall kommt. Wenn es schnell gehen musste, war alles bereit. In diesen Situationen konnte ich mich auf die Situation des Kindes und den Transport konzentrieren.», gibt Béatrice diesen wertvollen Tipp weiter. Konsequent hat sie nach jeder Heimkehr aus dem Spital den Koffer mit frischen Kleidern und Hygieneartikel für sich und die Tochter sofort wieder aufgefüllt.
Der Alltag als Lebensanker
Auch während der Chemotherapie blieb der Schulalltag – so reduziert er auch war – ein wertvoller Anker. Dank WhatsApp-Absprachen mit der Lehrperson wusste Béatrice täglich, ob ein Schulbesuch möglich war, oder ob Kinder mit einer Erkältung oder einer sonstigen ansteckenden Krankheit anwesend waren, die für Béatrices Tochter mit geschwächtem Immunsystem hätten gefährlich werden können. «Die wenigen Stunden Schule haben ihr so gutgetan. Sie konnte ein bisschen Normalität erleben.»

Blühende Pflanzenpracht, die Béatrice nach jedem Chemo-Block in den Garten setzte.
Kleine Rituale gegen grosse Angst
Es ist die Angst, die alles durchdringt. Die konstante, lähmende Furcht, das eigene Kind zu verlieren. Die Sorge, ein winziger Keim könnte tödlich sein. «Diese Angst – sie war übermächtig und permanent da.» Auch wenn die psychische Belastung oft erdrückend war, fand Béatrice Wege, mit ihr umzugehen. «Psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke! Niemand ist auf so eine Situation vorbereitet.», möchte sie anderen Betroffenen Mut machen.
In Momenten, in denen sie es kaum aushielt – im Spital oder zu Hause – suchte Béatrice sich kleine Inseln der Ruhe. «Ich stellte mir den Küchentimer auf fünf oder zehn Minuten und sagte mir: Diese Zeit schaffst du jetzt. Einfach die nächsten fünf bis zehn Minuten überstehen. Ich schaute aus dem Fenster, fixierte einen Baum und atmete. Einfach nur atmen.»
Es waren diese kleinen Rituale, die ihr halfen, nicht unterzugehen. Ein Kalender, in dem sie jeden überstandenen Tag ankreuzte. Kleine Spitalmaskottchen, die sie ihrer Tochter zu Beginn jedes Chemoblocks schenkte. Blühende Pflänzchen, die sie nach jedem Block in den Garten setzte. Oder im Winter: eine wohlduftende Handcreme als Zeichen von Selbstfürsorge. «Am Ende eines Blocks haben wir immer ihr Lieblingsessen gekocht. Wir feierten, dass wir wieder einen Schritt gemeinsam geschafft hatten.»
Und dann war da noch der eine Satz, der sie trug – immer wieder: «Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.» Dieses Lichtlein war manchmal nur ein Gedanke: an einen Spaziergang im Wald, einen Kinobesuch, ein gemeinsames Wochenende. An das, was wieder sein würde – irgendwann. «Ich stellte mir vor, wie wir das Ende der Chemotherapie feiern, wie meine Tochter wie früher mit dem Velo in die Schule fährt, und wie unser neues Leben nach der Therapie aussehen wird. Das hat mir geholfen.»
Essen mit Liebe statt Druck
Die Chemotherapie veränderte vieles – auch das Essverhalten. Als Nebenwirkung kommt es oft zu Verdauungsproblemen, Appetitlosigkeit, einer Veränderung des Geschmackssinnes und einer entzündeten Mundschleimhaut. Béatrice wurde erfinderisch: «Wir hatten bunte Teller, lustige Trinkhalme, farbige Servietten. Das Auge isst mit, auch wenn der Mund brennt und wund ist.» Ihre besten Tipps: Weiches Fladenbrot, Wraps. Fajitas oder Tortillas mit Sauerrahm bestreichen. Als Füllung eignet sich besonders gut gekochtes Poulet, Karotten, Zucchetti, Eier oder Kartoffeln. Auch der Babybel-Käse, geschälte Gurken oder eine nahrhafte Schoggimilch sind verträglich. «Unverzichtbar und sehr wichtig bei einem immungeschwächten Kind sind die Hygiene, gut gewaschene Hände und eine saubere Zubereitung.»
Gut zu wissen
Zum Thema «Essen für Kinder mit Krebs» gibt es weiterführende Informationen auf dieser Webseite. Grundsätzlich gilt: das Kind darf essen, was ihm schmeckt und was geht. Beachten Sie aber unbedingt einige Hygieneregeln, damit es durch Krankheitserreger, die zum Beispiel auf rohen tierischen Produkten, in frischen verarbeiteten Lebensmitteln oder in frischen Nüssen vorkommen können, nicht zu gefährlichen Infektionen kommt. Lassen Sie sich im Spital beraten.
Hilfe koordinieren
«Man sagt, um ein Kind grosszuziehen, braucht es ein Dorf – bei einer Krebserkrankung braucht es eine Stadt.» Während der Krebserkrankung ihrer Tochter koordinierte Béatrice via WhatsApp-Chat einen Transportdienst mit Nachbar:innen, den Eltern der Klassenkamerad:innen und Freund:innen – alle unterstützen die Familie und machten es so möglich, dass die Tochter zur Schule gehen konnte und wieder abgeholt wurde, wenn es ihr schlecht ging. Auch Fahrten ins Spital für die vielen verschiedenen Termine konnte Béatrice so organisieren. «Unsere Tochter konnte wegen der Ansteckungsgefahr und der grossen körperlichen Schwäche nicht den öffentlichen Verkehr nutzen. Wir brauchten während dieser Zeit sehr viel Transporthilfe. Das war eine riesige Entlastung für uns im Alltag.»
Struktur im Chaos
Ein weiteres wertvolles Hilfsmittel, war eine einfache Checkliste, um Medikamentengabe, Trinkmenge und Nebenwirkungen zu dokumentieren. «Es war eigentlich nur ein Reminderblatt. Darauf stand, ob ich alle Medikamente gegeben hatte, zu welcher Tageszeit, ob und welche Menge mein Kind getrunken hatte.» Auch Nebenwirkungen hielt sie fest – Fieber, Hautreaktionen, Unwohlsein, Erbrechen. Gerade dann war die Checkliste Gold wert: «Wenn ich bei Unsicherheiten im Spital anrufen musste, konnte ich sofort sagen, was wann passiert war. Man kann sich nicht auf sein Gedächtnis verlassen – nicht im Stress, nicht mit Schlafmangel.»
Für jeden Chemoblock legte Béatrice zudem einen schmalen Ringordner an – mit den Checklisten, Notizen und Laborwerten. «So hatte ich immer alles griffbereit – für Notfälle oder Gespräche mit den Ärzt:innen.» Diese Struktur brachte viel Ordnung und Halt in die Ausnahmesituation.
Es braucht nicht viel
Rückblickend hätte sich Béatrice in den ersten Tagen im Spital mehr Zeit gewünscht – für Informationen, Gespräche, Orientierung. «Die Informationsflut in der ersten Woche war enorm. Man fühlt sich überrollt. Eine gestaffelte Informationsvermittlung hätte geholfen, nicht alles im ersten Schock verstehen und verarbeiten zu müssen.» Ganz pragmatisch vermisste sie auch bequemere Klappbetten. «Wir haben unsere Tochter nie allein gelassen und waren auch nachts bei ihr.» und «Ein Rückzugsraum auf der Onkologie-Abteilung hätte uns gutgetan. Einfach ein Ort, wo man ungestört weinen oder telefonieren kann. Sogar um eine Putzkammer mit einem Stuhl wäre ich dankbar gewesen.»
Béatrice möchte anderen Eltern Mut machen – und etwas Hoffnung schenken. «Es ist wichtig zu wissen, dass diese dunklen Zeiten vorbeigehen. Man vergisst sie nicht, sie bleiben wie eine Narbe, aber irgendwann kommt man wieder an die Oberfläche.»
Sie spricht von kleinen Momenten, die wieder Licht bringen. «Gemeinsam mit der Tochter eine Mahlzeit geniessen, die ihr schmeckt und nicht schmerzhaft ist im Mund. Das erste Mal zuschauen, wie sie nach dem Muskelschwund wieder Kraft hatte mit dem Velo den Hügel hinauf zur Schule zu fahren. Das freudige Strahlen, als sie vom ersten Weihnachtsmarkt-Besuch mit Freundinnen zurückkam. Wie kostbar und gleichzeitig fragil das Leben ist, aber auch, wie schön es nach einer Chemotherapie wieder werden kann.»