Offene Kommunikation ist wichtig

Interview mit Carolin Heise
Vorstandsmitglied der Kinderkrebshilfe Schweiz und betroffene Mutter

Carolin Heise ist Vorstandsmitglied der Kinderkrebshilfe Schweiz, heilpädagogische Sonderschullehrperson und Mutter von Luna, die im Alter von drei Jahren an Krebs erkrankte. Im Interview spricht sie über die Bedeutung einer offenen Kommunikation – damals und heute.


Frau Heise, welche Erinnerung haben Sie an den Moment, in dem Ihnen die Diagnose Ihrer Tochter mitgeteilt wurde?

Ich erinnere mich genau: Im Aufwachraum des Kinderspitals Luzern kam der Onkologe zu mir und sagte, dass meine Tochter einen fortgeschrittenen Tumor an der rechten Niere habe. Wir müssten sofort stationär aufgenommen werden. Da ich nach dem Kinderarztbesuch bereits eine schlimme Vorahnung hatte, war ich einigermassen gefasst. Die Angst um meine Tochter war sehr gross, dennoch war ich hoch konzentriert, um keine wichtigen Informationen zu verpassen. Darauf, wie sich das Leben von einem auf den anderen Moment komplett ändert, kann man sich aber nicht vorbereiten.

Sie haben sich von Anfang an für eine sehr offene Kommunikation entschieden. Warum?

Ich habe mich im ersten Moment sehr darauf konzentriert, meine Aufgaben und den Alltag zu organisieren. Dazu gehörte es, schnellstmöglich mit meinem Arbeitgeber zu sprechen oder die Betreuung für Lunas älteren Bruder auf die Beine zu stellen. Indem ich sehr offen über die Krebserkrankung gesprochen habe, wollte ich Klarheit schaffen und Gerüchte vorbeugen, vor allem zum Schutz meines Sohnes, der bereits in die Schule ging. Zudem waren wir auf die Unterstützung unseres Umfelds angewiesen. Die Leute sollten genau wissen, was los ist, um Lunas Bruder oder uns bestmöglich zu helfen. Eine offene Kommunikation hat uns sehr viel Verständnis und Rücksicht gebracht.

Test

«Während Lunas Erkrankung habe ich von offenen Gesprächen mit anderen Betroffenen enorm profitiert. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, war unglaublich wertvoll.»

Carolin Heise, betroffene Mutter

Wie haben Sie Ihr Umfeld informiert?

Ich habe in regelmässigen Abständen Updates gegeben, persönlich oder mit Nachrichten. Besonders hilfreich war ein Video für die Nachbarskinder, in dem wir erklärten, warum Luna ihre Haare verloren hatte, eine Maske trug oder im Rollstuhl sass. So konnten sich die Kinder vorbereiten, und die erste Begegnung nach der langen Therapiezeit war unbeschwert.

Wie hilfreich war und ist es für Sie selbst, offen über schwierige Themen zu sprechen?

Für mich ist es immer sehr befreiend, offen über alles zu sprechen. Gerade während Lunas Erkrankung habe ich von offenen Gesprächen mit anderen Betroffenen enorm profitiert. Auf der Station haben wir Freundschaften geschlossen, uns ausgetauscht und uns gegenseitig verstanden. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, war unglaublich wertvoll.
Ich bin überzeugt, dass mein Gegenüber nur dann verstehen kann, wie es mir geht, wenn ich mich mitteile. Warum reagiere ich an einem Tag anders als an einem anderen? Solche Fragen lassen sich nur durch Gespräche klären. Auch die Besuche der Psychoonkologin waren für mich eine grosse Hilfe und haben mir stets ein positives Gefühl gegeben. Kommunikation bedeutet für mich, Missverständnisse zu vermeiden und ein gemeinsames Verständnis für die Situation zu schaffen.

Wie haben Sie mit Luna über ihre Krebserkrankung gesprochen?

Luna war mit drei Jahren noch sehr jung, hatte aber im Alltag feste Abläufe und ein gewohntes Umfeld, das ihr Sicherheit gab. Es war uns besonders wichtig, ihr die Veränderungen behutsam und altersgerecht zu erklären. Besonders unterstützend war das Buch «Der Chemokasper», mit dem wir ihr den Beginn der Chemotherapie und den bevorstehenden Haarverlust erklären konnten.

Das Pflegeteam hat uns mit kreativen Ideen unterstützt, um medizinische Abläufe verständlich zu machen – kindgerecht und ohne Angst zu erzeugen. Der Port wurde zur «Tankstelle» und Blutentnahmen haben wir spielerisch mit «Ketchup» verglichen. Mit etwas Fantasie wurde aus der Computertomographie eine Reise mit der Zeitmaschine oder aus der Fahrt zum OP ein Flug mit dem Bett zum Schlafdoktor. 

Aufgrund der Empfehlung unserer Psychoonkologin gaben wir dem Tumor einen Namen. Luna entschied sich für einen «regenbogenfarbenen Schmetterling». Das passte in unserem Fall sehr gut, denn als wir erfuhren, dass der Tumor durch die Venen gewachsen war, konnte ich ihr erklären, dass der Schmetterling in ihrem Körper herumgeflogen sei. Nach der Operation hatte sie dann «neue Venen», weil der Schmetterling Spuren hinterlassen hatte.

Die kindgerechten Begriffe halfen Luna, sich besser auf die Behandlungen einzulassen, und machten aus einem ernsten Thema ein kleines Abenteuer, das Luna auf ihre Weise verstehen und verarbeiten konnte. Die Theodora-Clowns und die Mutperlen unterstützten uns dabei sehr. 

Obwohl Luna die Krebserkrankung überstanden hat, bleibt Kommunikation weiterhin wichtig. Warum?

Bei Lunas Tumoroperation musste eine Niere sowie Tumorgewebe in den Venen entfernt werden. Es kam zu mehreren Thrombosen. Die Ärzt:innen haben Luna sogenannte Venenstents gelegt, die die Venen offenhalten und einen normalen Blutfluss ermöglichen. Damit das Blut nicht stockt, muss Luna auch heute noch mehrfach am Tag eine hohe Dosis Blutverdünner einnehmen. Je nach Blutgerinnung könnte sie bei Verletzungen stark bluten und eventuell kann die Blutung nicht so einfach gestoppt werden. Das heisst, dass wir bei jeder neuen Situation – vom Kindergeburtstag bis zum Schulausflug – erklären müssen, was das für sie bedeutet. Manche Menschen nehmen das verständnisvoll auf, andere weichen dem Thema aus. Für uns ist es ein Teil unseres Alltags, der nicht verschwiegen werden kann.

Luna hat den Kindergartenstart gut gemeistert. Welche Rolle spielte Kommunikation dabei?

Der Kindergartenstart war ein grosser Schritt, da Luna ihren Spitalalltag gewohnt war und diesen vermisste. Wir hatten das grosse Glück, eine unglaublich einfühlsame Lehrperson an unserer Seite zu haben. Sie besuchte uns in den Sommerferien zu Hause, schaute sich mit Luna ihre Schätze aus dem Spital an und sprach mit ihr über ihre Erlebnisse. Zum Kindergartenstart durfte Luna ein Buch auswählen und ihre Puppe sowie ihre Mutperlen mitbringen, um den anderen Kindern ihre Geschichte näherzubringen.

Ich führte zudem ein ausführliches Gespräch mit der Lehrperson, um sie über alle wichtigen Aspekte zu informieren. Gemeinsam planten wir zu einem frühen Zeitpunkt einen Elternabend, um die anderen Eltern aufzuklären. Dennoch gab es anfangs Situationen, die aus fehlender Kommunikation entstanden – zum Beispiel ein Anruf einer Mutter, die wissen wollte, ob wir Horrorfilme mit Luna schauen würden, weil sie im Spiel ganz selbstverständlich Spitalszenen nachspielte und von Blut sprach. Solche Momente konnte ich aber mit Humor nehmen.

Die Kinder waren offen und interessiert, und auch ihre Spitalbesuche wurden immer wieder zum Gesprächsthema. Es entstanden viele herzerwärmende Momente. Für uns war diese Zeit nicht nur ein wichtiger Neuanfang für Luna, sondern auch der Beginn einer engen und wertvollen Bindung zur Schule und ihrer Lehrperson.

Wie schauen Sie auf die Zukunft und auf den nächsten grossen Schritt – die Schule?

Die grösste Herausforderung wird sein, dass Luna auf den ersten Blick nicht mehr krank aussieht. Das «geheilt, aber nicht gesund»-Gefühl, das viele betroffene Familien kennen, wird uns begleiten. Wir hoffen auf Offenheit und Verständnis von Lehrpersonen und Eltern.

Haben Sie Tipps für andere Familien, die mit einer schweren Erkrankung konfrontiert sind?

Kommunikation ist aus unserer Sicht unglaublich wichtig, aber jeder muss seinen eigenen Weg finden. Offenheit schafft Verständnis und verhindert Gerüchte. Gleichzeitig muss man lernen, sich abzugrenzen.