Doppelrolle der Eltern

Eltern von schwer erkrankten Kindern stehen vor einer enormen emotionalen Belastung. Sie kämpfen einerseits mit ihren eigenen Ängsten und Sorgen und wollen andererseits ihrem Kind Sicherheit und Stabilität vermitteln. Die Psychoonkologin Barbara Gantner erzählt im Podcast von Kinderkrebs Schweiz, wie Eltern in dieser Doppelrolle agieren.

Barbara Gantner ist Fachpsychologin für Psychotherapie FSP und Psychoonkologin im K+L Dienst des KJDP am Kinderspital Zentralschweiz. Täglich betreut und begleitet sie Kinder, die an Krebs erkrankt sind, und unterstützt die betroffenen Familien. Mit ihrer Arbeit steht Barbara Gantner den Eltern, Patient:innen und auch den Geschwistern zur Seite. Sie hilft dabei, belastende Informationen zu verarbeiten, mit den Auswirkungen einer Krebserkrankung umzugehen und Familien zu stärken. 

Eltern von schwer erkrankten Kindern müssen einen herausfordernden Spagat bewältigen. Dieser ist von Ängsten, Sorgen sowie einer Überforderung auf der einen Seite und auf der anderen Seite vom Wunsch geprägt, das eigene Kind bestmöglich durch die Therapie zu begleiten.

Psychoonkologin Barbara Gantner spricht über diese Doppelrolle, den Umgang mit Belastung und wie wichtig es ist, auch als Eltern Schwäche zuzulassen und für sich selbst zu sorgen.

Die Rolle als Haltgebende

Viele Eltern finden eine gewisse Stabilität in der Rolle als Haltgebende. Für sie ist das Unterstützen des Kindes ein Weg, selbst Kontrolle über die Situation zu behalten. Besonders während der Zeit im Spital hilft es manchen Eltern, sich auf das Funktionieren zu konzentrieren und so den Anforderungen zu begegnen. Im Spital gibt es kaum Privatsphäre – medizinisches Personal, Reinigungskräfte oder andere Personen betreten das Zimmer regelmässig, wodurch Eltern das Gefühl haben, stets in einem aufnahmebereiten Zustand sein zu müssen.

Barbara Gantner

«Das Festhalten an der Rolle als Haltgebende kann den Eltern helfen, sich in diesem Umfeld zurechtzufinden.»

Barbara Gantner, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP und Psychoonkologin im K+L Dienst des KJDP am Kinderspital Zentralschweiz

Sicherheit für das Kind

Gerade in unsicheren oder neuen Situationen ist es für Kinder wichtig, dass ihre Eltern ihnen Sicherheit vermitteln. Wenn Eltern sich dann in ihrer haltgebenden Rolle stabil fühlen, strahlen sie Ruhe aus. Das hilft dem Kind dabei, beispielsweise mit Untersuchungen oder schmerzhaften Behandlungen besser umzugehen. Es ist aber auch in Ordnung, wenn es Eltern in diesem herausfordernden Moment schwer fällt, die haltgebende Rolle einzunehmen. In diesem Fall kann eine andere Bezugsperson diese Sicherheit vermitteln.

Raum für Emotionen schaffen

Während einige Eltern über die gesamte Therapiezeit hinweg vor allem in der haltgebenden Rolle bleiben, benötigen andere immer wieder Raum für Gefühle. Emotionen wie Angst oder Trauer sind eine natürliche Reaktion auf die aussergewöhnliche Situation und ihre Verarbeitung ist von Person zu Person unterschiedlich.

Es wird Eltern empfohlen, sich mit den Emotionen zu befassen. Im Spitalumfeld, wo wenig Privatsphäre herrscht, ist das herausfordernd. Unterstützung kann hier durch Psychoonkolog:innen erfolgen. Diese Fachkräfte bieten nicht nur ein offenes Ohr, sondern ermöglichen es Eltern auch, ihre eigenen Emotionen anzunehmen und zu verarbeiten.  Die Einnahme der haltsuchenden Rolle tritt oft in unvorhergesehenen Momenten ein, etwa wenn ein unerwartetes Untersuchungsergebnis vorliegt oder eine plötzliche Überforderung eintritt. 

«Jede Träne hat ihre Berechtigung»

Barbara Gantner versucht Eltern darin zu stärken, ihre Emotionen zeigen zu dürfen, sei es durch Tränen oder das verbale Ausdrücken ihrer Sorgen. In besonders herausfordernden Phasen kann es hilfreich sein, sich bewusst Zeit für seine Gefühle zu nehmen – sei es durch ein paar Minuten des Weinen-Dürfens pro Tag oder durch andere bewusste Rituale.

«Viele Eltern entschuldigen sich für ihre Tränen, dabei sind diese eine ganz natürliche Reaktion auf die Belastung.»

Barbara Gantner, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP und Psychoonkologin im K+L Dienst des KJDP am Kinderspital Zentralschweiz

Strategien, um selbst Halt zu finden

Es gibt verschiedene Strategien, die Eltern helfen können, sich selbst in schwierigen Momenten zu stabilisieren. Manchmal reicht ein Anruf bei einer vertrauten Person – einer Freundin, einem Familienmitglied oder jemandem aus dem medizinischen Team. Auch das Aufschreiben von Gedanken, bewusstes Atmen oder das Vorstellen eines persönlichen Wohlfühlortes können hilfreich sein. Barbara Gantner beschreibt, dass manche Eltern durch eine konkrete Handlung wie das Streichen einer Wand oder das Pflanzen von Blumen ein Gefühl der Kontrolle und Stabilität zurückgewinnen. Andere suchen bewusst Ablenkung durch sportliche Aktivitäten oder Entspannungstechniken.

Umgang mit Geschwistern

Zusätzlich herausfordernd ist die Situation für Familien mit weiteren Kindern. Eltern stehen oft vor der schwierigen Aufgabe, sowohl dem erkrankten Kind als auch den Geschwistern gerecht zu werden. Die Sorge, dass Geschwister zu kurz kommen, ist gross. Hier empfiehlt Gantner, realistisch zu bleiben: Eltern können sich nicht vervielfachen, doch sie tun stets ihr Bestes, um für alle Kinder die bestmögliche Unterstützung zu organisieren. Wichtig ist, eine Lösung zu finden, die für die Familie praktikabel ist – auch wenn sie nicht perfekt scheint.

Die Balance zwischen den Rollen

Letztlich wird empfohlen, dass Eltern ihre individuelle Balance zwischen den beiden Rollen finden. Solange sie sich mit ihrer jeweiligen Aufteilung wohlfühlen, ist jede Konstellation in Ordnung. Manche Eltern verarbeiten ihre Emotionen erst nach Abschluss der Therapie. Wenn jedoch unterschiedliche Strategien innerhalb eines Elternpaars zu Konflikten führen, empfiehlt Gantner, offen darüber zu sprechen. Missverständnisse können entstehen, wenn ein Elternteil in einer anderen Phase des Verarbeitungsprozesses steckt als der andere. Eine gute Kommunikation hilft, gegenseitiges Verständnis zu schaffen.

Beide Rollen – das Halt geben und das Halt suchen – sind wichtig und erlaubt. Es gibt kein richtig oder falsch. Entscheidend ist, dass Eltern für sich selbst einen Weg finden, mit der Situation umzugehen, und sich die Unterstützung holen, die sie brauchen.