Julia Niederberger

Eine Hommage an starke Frauen

Margaret Brent, Jeanne Chauvin, Carla del Ponte und Julia. Klingende Namen von starken Frauen. Erstere sind Pionierinnen der Juristerei, haben Wegweisendes erreicht und Beeindruckendes geleistet. Letztere wird sich vielleicht einmal in deren Gilde einreihen. Stark genug ist sie allemal. Julia Niederberger - angehende Juristin, ehemalige Kinderkrebspatientin.

Sie rührt in ihrem Cappuccino, während sie von ihren Zukunftsplänen erzählt. Julia hat gerade den Bachelor an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Bern abgeschlossen. In wenigen Wochen geht es weiter mit dem Masterstudium, danach folgt wahrscheinlich die Anwaltsprüfung. «Ich weiss es noch nicht genau. Ich empfinde es manchmal als surreal, so langfristige Pläne zu schmieden», sagt Julia. Sie muss bereits jetzt die optimalen Fächer wählen, um sich die Tür zum Anwaltspatent zu öffnen.
 

Das Leben ist nur bedingt planbar

«Ich bin eher spontan unterwegs, plane gerne kurzfristig.». Woher das kommt? Julia zuckt mit den Schultern. «Vielleicht wegen der Krebserkrankung, vielleicht auch nicht.». Dass, das Leben nur bedingt planbar ist, musste Julia schon früh lernen. In der dritten Sekundarstufe verspürte die damals 15-jährige Julia anhaltende Schmerzen im linken Bein. «Wir dachten zuerst, es handelt sich um Wachstumsschmerzen, aber es wurde immer schlimmer.». Nach einem Tennistraining war das Bein stark geschwollen und Julia konnte vor Schmerzen kaum noch schlafen. Ein Besuch in einer medizinischen Notfallpraxis in Luzern und die darauffolgenden Abklärungen im Kinderspital brachten Klarheit. Julia erhielt die Diagnose Ewing-Sarkom, eine bösartige Form von Knochenkrebs.

Ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab

Es begann eine Zeit kräftezehrender Behandlungen, angefangen mit einer sechsmonatigen intensiven Chemotherapie, gefolgt von einer anspruchsvollen Operation und einer weiteren Chemotherapie. «Nicht nur körperlich, sondern auch mental war diese Zeit für mich eine enorme Belastung.». Zwar hat sie im Spital Unterstützung von einer Psychoonkologin erhalten, aber je länger die Therapie dauerte, desto weniger konnte sie ihre Ängste verarbeiten. In einer 15-stündigen Operation wurde Julia der betroffene Oberschenkelknochen und das Tumorgewebe entfernt. Man implantierte ihr einen Spenderknochen und das eigene Wadenbein. Die aufwendige Operation verlief erfolgreich, doch anschliessend musste die junge Frau weitere Monate Chemotherapie über sich ergehen lassen. «Man denkt sich 'Der Krebs ist weg', doch das Leiden geht weiter. Es fühlte sich wie ein Albtraum an, aus dem man nicht aufwachen kann.» 

Das Zurückfinden in einen neuen Alltag

Nach 13 Monaten Therapie war der Albtraum für Julia zu Ende. Das Zurückfinden in einen neuen Alltag überforderte sie aber phasenweise. «Das alte Leben wirkte teilweise surreal auf mich. Ich war über ein Jahr in der Spitalwelt unterwegs und musste mich nun in der Normalität wieder sozialisieren.». Sie befand sich mental an einem anderen Punkt im Leben als ihre Mitschüler:innen, empfand typische Teenagerthemen als realitätsfremd und fühlte sich gleichzeitig mit der Situation überfordert. Die Rückkehr in die Schule verlief hingegen anfangs sehr angenehm. Sie konnte fächerweise wieder in die Sekundarstufe einsteigen und erhielt dabei Unterstützung von Lehrpersonen und der Schulleitung.

Ein Karrierestart mit Hindernissen

Bald wuchsen Julias Haare nach und sie konnte wieder ohne Krücken laufen. Äusserlich war der Krebs nicht mehr sichtbar. «Je weniger visibel die Erkrankung ist, desto mehr sinkt das Verständnis des Umfelds. Das ist kein böser Wille, aber als betroffene Person ist es spürbar.». Als Folge davon blieb ihr im Gymnasium der Nachteilsausgleich für Prüfungen verwehrt und es galten für sie dieselben Abwesenheitsregeln wie für ihre gesunden Mitschüler:innen. «Ich hätte eine Therapie machen sollen, um mein schwaches Immunsystem zu stärken. Das wäre jeweils mittwochs gewesen, doch ich habe für diese Termine nicht frei bekommen.». Julia liess sich nicht unterkriegen und konzentrierte sich darauf, ihre Ziele zu verfolgen.

«Wenn ich vor einer grossen Prüfung an mir zweifle, rufe ich meine Mama an. Sie sagt mir dann ‹Julia, du hast schon ganz anderes geschafft in deinem Leben›. Das gibt mir Kraft und Zuversicht.»

Julia, Survivor

Julia, du schaffst das!

Die politisch engagierte Studentin geniesst heute das Zusammensein mit ihren Freund:innen, findet Ruhe und Kraft in der Musik und unterscheidet sich kaum von ihren Mitstudent:innen. Ihren Rucksack hat sie dennoch zu tragen – und dieser wiegt manchmal schwer. «Ich bin kaum mit Spätfolgen konfrontiert, wie andere Kinderkrebs-Survivors, aber allein die Erfahrung einer solchen Erkrankung begleitet ein Leben lang und wird immer wieder an die Oberfläche gespült.». Bei Julia zeigt sich das teilweise in der Angst, erneut an Krebs zu erkranken. Mit dieser Angst kann Julia mittlerweile gut umgehen. Sie atmet solche Momente bewusst weg und weiss, dass sie vorbei gehen. In anderen Stresssituationen ist ihre Mutter eine wichtige Stütze. «Wenn ich vor einer grossen Prüfung an mir zweifle, rufe ich meine Mama an. Sie sagt mir dann 'Julia, du hast schon ganz anderes geschafft in deinem Leben'. Das gibt mir Kraft und Zuversicht.»

Zeitzeuginnen

Neben ihrem Studium arbeitet Julia als Hilfsassistentin am Institut für öffentliches Recht, wo sie für eine Webseite ihres Dozenten Kurzporträts über erfolgreiche Frauen im juristischen Bereich verfasst. «Das sind Pionierinnen, starke Frauen, die Grosses geleistet haben.». Die Geschichten sollen deren Leistung honorieren und andere Frauen ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen. Ob Julias Name dereinst neben Margaret Brent, Jeanne Chauvin, Carla del Ponte stehen wird? Wer weiss, schaffen könnte sie es, denn sie hat schon viel im Leben gemeistert.